CORONA ZUM TROTZ – WIR REISTEN NACH BISHKEK – 10 KINDERN ERÖFFNET SICH DER WEG IN DIE WELT DES HÖRENS

Aidai, Muhammad, Sezim, Sultan, Asir, Muslim, Ailin, Ademi, Alinur und Alman – zehn weitere Kinder aus Kyrgyzstan haben noch knapp vor Weihnachten und Corona zum Trotz ihr Cochlear Implantat bekommen. Prof. Dr. Tino Just, Dr. Iryna Driamina vom KMG Klinikum in Güstrow und ich sind am 12.12. 2020 für eine Woche nach Bishkek gereist, wo am „National Center of Maternity and Childhood Care“ (das vom Gesundheitsministerium der Kirgisischen Republik für das CI Programm nominiert wurde) alle zehn Operationen erfolgreich durchgeführt wurden.

Unsere Reise von Berlin bzw. Zürich über Istanbul nach Bishkek und retour war infolge der zahlreichen Vorschriften und Erfordernissen beschwerlich (wie z.B. mehrfache PCR Tests, Maskenpflicht sowohl auf den Flughäfen als auch auf den doch relativ langen Flügen, Verbot einen Trolley ins Flugzeug mitzunehmen, was mich am Flughafen in Zürich zum Umpacken im wahrsten Sinn des Wortes auf den Boden zwang. Schweres Gepäck, da Prof. Just eine moderne Bohrmaschine mit allem Zubehör als Geschenk mitbrachte und ich so viele Dinge, die bei uns im Überfluss und in Kyrgyzstan Mangelware sind). Doch wir sind uns einig: das Risiko hat sich gelohnt!

Diese Reise wurde teilweise gefördert im Rahmen unseres Klinik-Partnerschafts-Programms mit dem GIZ (Deutsche Gesellschaft der deutschen Regierung für Internationale Zusammenarbeit).
Dabei geht es um ein zweijähriges Kooperationsprojekt der Lehnhardt Stiftung mit dem „National Center of Maternity“ und dem KMG Klinikum Güstrow zum Thema „Cochlear Implantat Versorgung und Langzeitbetreuung gehörloser Kinder“. Ziel ist es, ein nachhaltiges Programm zur Behandlung hochgradig schwerhöriger und tauber Kinder in Kyrgyzstan zu etablieren.

Seit August dieses Jahres haben sich unsere Aktivitäten auf intensive Schulung und Beratung ONLINE „beschränkt“, vom 13. – 19. Dezember konnten wir nun in Bishkek sowohl Ärzte, Audiologen und Therapeuten als auch Eltern persönlich treffen und in eingehenden Vorträgen und individuellen Gesprächen schulen und beraten.
Anlässlich unseres Aufenthaltes wurde auch die Gründung einer Public-Private-Partnership- Gesellschaft „National Academy of Hearing“ initiiert. Partner sind die staatliche Klinik in Bishkek, die Elternvereinigung „Slyshim Vmeste“ („Wir Hören Gemeinsam“) und die Lehnhardt Stiftung. Damit wird sichergestellt, dass die Selektion der CI Kandidaten in einem Gremium von Fachleuten nach klaren Richtlinien erfolgen und die Auswahl der Implantate durch den verantwortlichen Chirurgen getroffen und mit den Eltern besprochen wird.

Gleich nach Ankunft am sehr frühen Sonntagmorgen fuhren wir in die Klinik um die Gegebenheiten im Operationssaal zu überprüfen. Das stellte sich als sehr gute Idee heraus, da am Mikroskop eine Lampe nicht funktionierte, die wir über Nacht aus dem Nachbarland Kasachstan einfliegen lassen mussten. Ein Probelauf mit der OP-Schwester, die an den nächsten Tagen assistieren sollte, trug sicher dazu bei, dass der Stresslevel für alle Beteiligten reduziert wurde. Das gesamte Ärzteteam der Klinik war anwesend (fast alle weiblich! mit Ausnahme des außerordentlich tüchtigen Anästhesisten) und sehr engagiert.
Dann trafen wir alle Eltern, deren Kinder am folgenden Montag operiert werden sollten.
Wir nahmen uns Zeit für all ihre Fragen und ihre Sorgen und wir konnten uns überzeugen, dass alle schon gut vorab informiert wurden und sich vor allem auch ihrer großen Verantwortung für die langjährige (Re)Habilitation ihrer Kinder bewusst sind.

An den Folgetagen wiederholte sich dieses „Ritual“, mit allen Eltern wurde ausführlich gesprochen, bevor ihr Kind am nächsten Tag zur Operation anstand.

Eine unschätzbare Hilfe war bei alledem, dass Dr. Iryna Driamina Russisch als Muttersprache hat und somit sowohl während der Operationen kompetent übersetzen konnte, was Prof. Just mit viel Geduld für die anwesenden Ärzte erklärte, die in Zukunft die Operationen selbst durchführen sollen.

Nachdem alle 10 Operationen geschafft waren, hatten wir noch Zeit für Präsentationen für Fachleute (sowohl Ärzte als auch Therapeuten) und für die Eltern. Dabei konnte auch ich meine Russischkenntnisse sinnvoll einsetzen.

In der Nacht zum Samstag flogen wir zurück, zugegeben sehr, sehr müde, aber glücklich.
Alle Kinder und ein Elternteil blieben an der Klinik und feierten zusammen mit einer kleinen Kerze für jeden den „neuen Geburtstag“ ihrer Kinder. Sie schickten uns ein Video und wir waren gerührt.

Vier Wochen später luden wir Experten für die Anpassung der Sprachprozessoren nach Bishkek ein. Oksana kam aus Kasachstan und Dmitrij aus Kiev. Dazu hatten wir Räume in einem Hotel gemietet, da wir einen sehr guten Zugang zum Internet brauchten. Wir wollten den Eltern die Möglichkeit geben, die Anpassungen aus einem Nachbarraum zu beobachten, wir konnten von Deutschland aus dabei sein und auch mit den Experten und den Eltern Online sprechen. Es wurden auch Aufzeichnungen gemacht, die zu Schulungszwecken dienlich sind.

 

Alle Kinder zeigten deutliche Reaktionen auf ihre ersten Höreindrücke, somit war endgültig bewiesen, dass die Operationen erfolgreich verlaufen sind. Die intraoperativen Messungen hatten das zwar auch schon gezeigt, aber für die Eltern war der Moment der Anpassung, der Moment in dem ihr Kind mit den Wimpern zuckt, die Augenbrauen hochzieht, erstaunt schaut, oder auch weint wohl der emotionalste seit der Geburt.
Dieses Unternehmen setzte eine äußerst umfangreiche Vorbereitung voraus. In Deutschland musste eine detaillierte Dokumentation für alle Kinder erstellt werden, um somit die Finanzierung der Implantate durch „Ein Herz für Kinder“ zu ermöglichen und die Plausibilität dieser Aktion im Rahmen unseres Projektes mit GIZ zu dokumentieren. Das haben die Mitglieder der Lehnhardt Stiftung Liubov Wolowik und Klaus Gollnick in bewährter Weise übernommen. Vor Ort in Bishkek wurde die Koordination aller Aktivitäten durch das Ärzteteam (Shirin, Munar, Cholpon) sichergestellt und die Begleitung der Eltern durch Nadira Mamyrova und Anastasiia Naimanova gewährleistet.

Auch in den nächsten Wochen, Monaten oder vielleicht sogar Jahren werden Fragen, Zweifel oder Probleme auftauchen, die wir möglichst umgehend beantworten oder professionell behandeln werden. Dies wird vorwiegend Online passieren. Regelmäßige Treffen sind bereits fest geplant, aber auch kurzfristig können Gespräche mit den entsprechenden Fachleuten aus aller Welt organisiert werden.
Bei all den bedeutenden Vorteilen von Online verstehen wir, dass persönliche Treffen dadurch nicht ersetzt werden können. Daher planen wir unsere nächste Reise nach Bishkek im Sommer dieses Jahres und hoffen inständig, dass uns die Umstände dann gewogener sein mögen.

Dr. Monika Lehnhardt-Goriany

Januar 2021

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